Familienportraits ohne Weichzeichner
Bilder sagen oftmals mehr als Worte. Keiner weiß das besser als Starfotografin Annie Leibovitz. Ihre Fotos bleiben unauslöschlich in unseren Köpfen hängen: Yoko Ono, zusammen mit John Lennon, aufgenommen kurz vor seinem Tod. Demi Moore, hochschwanger, wie sie die Hände schützend vor den Bauch hält. Oder jüngst die „Vanity Fair“ Aufnahmen von Tom Cruises und Katie Holmes Baby Suri. Kein Wunder also, dass sich Leibovitz ursprünglich ein Vorwort für ihr neues Buch: „A photographers life 1990-2005“ sparen wollte. Warum sie es doch tat, hat einen sehr emotionalen Grund: neben der Fotosammlung von bekannten Gesichtern aus Film und Politik gewährt die 57 jährige zum ersten Mal einen persönlichen Blick ins private Familienalbum.
„Anfangs dachte ich: Die Fotos sind das Wichtigste und sprechen für sich alleine“, erinnert sich Annie Leibovitz. Nach nächtelangen Gesprächen mit einer Freundin, bei denen auch jede Menge Wein floss, wie sie lachend gesteht, entstand dann aber doch ein Vorwort, sogar länger und ausführlicher als bei vielen anderen Büchern. Schon nach wenigen Zeilen merkt man: es ist Annie Leibovitz persönlichste, privateste Fotosammlung, die sie da in eigenen Worten kommentiert. „Ich habe nicht zwei Leben, meinen Beruf und das Private kann ich nicht voneinander trennen“. Daher finden sich zwischen den Familienfotos immer wieder eingestreut berühmte Portraits von Stars wie Jack Nicholson oder Nicole Kidman. Prominente, die sich, obwohl man ihnen meist ein gestörtes Verhältnis zu Kameras nachsagt, ihr anvertraut und geöffnet haben.
Umso überraschender, dass die Fotografin zum ersten Mal die Seite wechselt und den Fokus auch auf sich selbst und ihre Familie richtet. Dabei herausgekommen ist ein unverstellter Blick auf Menschen, die ihr nahe stehen. Ihre Bilder dokumentieren beides, das Leben und den Tod. Selbstportraits und intime Momente wie die Geburt ihrer ersten Tochter wurden ebenso festgehalten wie Abschiede. „Dieses Buch war eine emotionale Berg-und Talfahrt für mich und es war nicht einfach, es zusammenzustellen. Ich fühlte mich wie eine Archäologin, habe Tausende von Fotos gesichtet, viele von ihnen hatte ich zuvor noch nicht einmal entwickelt “. Den Anstoß zu diesem Fotoband gab ihr der Verlust zweier geliebter Menschen. 2004 stirbt ihre 17 Jahre ältere Lebensgefährtin und Autorin Susan Sontag, nur wenige Wochen später ihr Vater. „Das Buch hat mir definitiv durch den Trauerprozess hindurch geholfen“. Zu Beginn zeigt es jedoch glückliche Momente. Ihre Eltern tanzend im Wohnzimmer, die Familie morgens im Bett. Dann, auf dem nächsten Bild eine Nahaufnahme der Mutter, mit Falten und ernstem Gesicht. „Meine Mutter wollte nicht fotografiert werden, weil sie meinte, dass sie alt aussehe. Ich habe hinter der Kamera geweint, als ich das Foto schoss, so sehr hat es mich berührt. Mein Vater hingegen mochte es nicht, weil sie darauf nicht lachte“. Beim Blick auf die Bilder ihres Vaters stockt Annie Leibovitz immer wieder die Stimme. Eines zeigt den Vater sterbend im Bett liegend, wenige Stunden vor seinem Tod. Auf dem nächsten die Beerdigung. All das hat sie mit der Kamera festgehalten. Emotional auch ihre Erinnerungen an Susan Sontag. „Sie war so neugierig und eine Abenteurerin, auf diesem Bild steht sie zwischen den Säulen in Petra, Jordanien. Fotos bekommen eine völlig neue Bedeutung, wenn jemand stirbt“. Wieder stockt ihre Stimme für einen Moment, sie muss sich sammeln. Auf der nächsten Aufnahme ist Susan Sontag bereits gezeichnet vom Krebs, es entstand nach der Chemotherapie. Und auf dem letzten Foto sieht man die Überführung ihres Sarges nach Paris.
Im Kontrast dazu wieder Fotos von werdendem Leben, ihren Kindern Sarah, Susan und Samuelle. Im späten Alter von 52 Jahren wird Annie Leibovitz dank einer künstlichen Befruchtung zum ersten Mal schwanger und löst damit damals in den USA heftige Diskussionen aus. Bis heute halten sich immer noch hartnäckig Gerüchte, das Baby stamme von Susan Sontags Sohn, doch Leibovitz weißt diesen Vorwurf vehement zurück und behauptet, ein anonymer Samenspender sei der Vater.
Anfangs machte ihr das späte Mutterglück Angst. „Als ich mit Sarah zum ersten Mal alleine im Raum war, dachte ich nur: Oh Gott, was mache ich jetzt nur mit ihr?“ Kurz nach dem Tod Susan Sontags und ihres Vaters bekommt sie dank einer Leihmutter noch zwei weitere Kinder, die Zwillinge Susan und Samuelle. Ihre Namen wählte sie im Gedenken an ihre Lebensgefährtin und an ihren Vater. Jeden Entwicklungsschritt ihrer Kinder hat Annie Leibovitz in Bildern festgehalten. „Die Kinder haben mein Leben komplett verändert. Ich trage Verantwortung für sie. Früher war ich als Fotografin im Bosnienkrieg tätig und habe dort Bilder von sterbenden Kindern gemacht, das kann ich mir heute nicht mehr vorstellen“. An dem Tag, als sie zum ersten Mal die Herztöne ihres Kindes beim Arzt hörte, fielen die Türme des World Trade Center zusammen. „Ich habe nicht meine Kamera geschnappt, sondern bin zuhause geblieben, auch, wenn das jeder von mir erwartet hatte. Erst einige Wochen später war ich am Ground Zero, ich hatte einen weiten Mantel an, damit man nicht sieht, dass ich schwanger bin. Die dachten bestimmt, ich hab meine komplette Fotoausrüstung drunter“.
Auf das Geheimnis ihres Erfolges angesprochen, hat Leibovitz eine einfache Antwort. „Studioaufnahmen sind nicht meine Sache, denn da weiß ich nie, was ich reden soll“. Sie liebt es, in Häuser zu gehen, zu sehen, wie die Leute, die sie portraitiert, leben, wie es bei ihnen aussieht. Bill Gates zum Beispiel. Während sie bei ihm zuhause das Fotoset einrichtete, verschwand er zwischen den Aufnahmen immer wieder. „Als ich ihn suchte, fand ich ihn im Dunklen, am Computer sitzend, und schon hatte ich perfekte Foto“. Ihr Tipp für angehende Fotografen ist es, mit der Familie anzufangen. „Es ist einfacher, Menschen zu fotografieren, die einem nahe sind und die nichts dagegen haben, wenn man sie ständig knipst.“ Das Talent für das perfekte Bild hat aber eben wohl doch nicht jeder. Anstatt ein Bild von ihr zu machen, geht ein kleiner Junge auf Annie Leibovitz zu und fragt: „Machst Du ein Foto von mir?“ Sie lacht und knipst ihn mit seiner Digitalkamera. Selbst der Steppke scheint schon zu wissen, was ein Original Leibovitz wert ist.
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