Impressionen aus Rom (2006)

Impressionen aus Rom

 

Koffer mit Starallüren

48 Stunden Rom. Da ist jede Minute kostbar. Umso besser, dass uns der Condor-Flieger dank Rückenwind in nur knapp 55 Minuten über die Alpen gen Rom bringt. Wir landen auf dem Flughafen Fiumicino. Jetzt schnell das Gepäck abholen und dann ab in die Ewige Stadt.

Wir stehen am leeren Kofferband, das sich bereits dreht und…wir warten. Nicht nur wir, auch Passagiere aus Brüssel, Paris und einer weiteren Maschine sind hier auf der Suche nach ihrem Koffer. Die ersten vier Gepäckstücke purzeln aufs Band, das lässt hoffen, Erleichterung auf den Gesichtern ihrer Besitzer. Doch dann plötzlich, wie beim Roulette, Rien ne va plus, nichts geht mehr. Stattdessen blinken überall unter lautem Getöse grüne Signallampen. Wie im James-Bond-Film, in dem 007 in irgendeiner Anlage gefangen ist und nur noch wenige Sekunden bis zum Countdown hat, bevor das Ganze dann in die Luft fliegt. Doch bei uns tut sich gar nichts. Nichts explodiert und kein Koffer ist in Sicht. Minuten vergehen, an die 20, um genau zu sein. Ratlosigkeit und Unruhe machen sich breit. Schließlich erfahren wir den Grund fuer die Verspätung. Ein bonbon rosafarbener Schalenkoffer ziert sich und will partout nicht aufs Band zum Schaulaufen, eine Diva unter dem Reisegepäck sozusagen. Angeblich schäme sie sich wegen ihrer Lackierung, die bereits etwas angekratzt sei, man kennt ja diese Zickereien bei Gepäckstücken. Wie gut, dass ein bulliger schwarzer Koffer sich schließlich ein Herz fasst, das pinke corpus delicti von hinten schubst und somit die Warterei beendet. Wir nehmen glücklich unsere beiden Trolleys entgegen, die ganz brav auf dem Band ihre Runden drehen. Es geht eben nichts über eine gute Koffererziehung….

 

Wollen Rosen kaufen?

Shopping rund um die Uhr kenne ich eigentlich nur vom Verkaufssender QVC. Der ist aber nichts gegen den Geschäftssinn rund um den Trevi-Brunnen. Denn hier bekommt man Dinge, die die Welt nicht braucht. Man steht da also ganz unbedacht und ahnungslos vor diesem atemberaubenden Brunnen und möchte ihn auf einem Foto festhalten. Leichter gesagt als getan. Als ich mein erstes Bild machen möchte, taucht ein indischer Bastian Pastewka-Verschnitt vor meiner Linse auf und streckt mir eine Rose entgegen. Wollen Rose kaufen? Nee, danke, sage ich, ich möchte nur in Ruhe Fotos machen. Aber ich habe die Rechnung ohne den Inder gemacht, der sich in Sekundenschnelle zigfach geklont hat. Schon steht der nächste auf der Matte, diesmal mit Knetgummi, das sich, ach wie praktisch, in nullkommanix in ein Quietsche-Entchen umformen lässt. Genau das habe ich mir schon immer gewünscht, denkt wohl der hartnäckige Verkäufer und hält mir das Spielzeug unter die Nase. Kein Bedarf, danke. Gut, denkt sich ein anderer fliegender Händler und will mir Halstücher, Brillen und Handtaschen andrehen. No, grazie, ich will nur ein Foto machen. Ich bin schon bedient. Was kommt als nächstes? Zahnseide, Sonnencreme oder ne Currywurst? Langsam, ganz langsam werde ich dann doch etwas gereizt und versuche, die Plagegeister einfach zu ignorieren. Allerdings nur mit mäßigem Erfolg, wie ich beim Blick auf das Display meiner Kamera feststelle: Trevi-Brunnen mit Rosenstengel drauf, Trevi-Brunnen mit schwarzem Haarschopf, Trevi-Brunnen mit Knetgummi-Ente drauf. Eigentlich sollte ich mich jetzt ärgern, aber ich versuche, die Sache sportlich zu sehen. Ich stelle mir einfach vor, ich spiele so ein Nintendo-Game mit der Schwierigkeitsstufe 3, in diesem Fall: volle Punktzahl gibt’s dann, wenn auf dem Bild nur der Trevi-Brunnen drauf ist, ohne Blumen oder Knetgummi. Ich brauche ein paar Minuten, aber dann sind die Inder überlistet. Juchu, score, 100 Punkte….

Wer übrigens einen ganz hohen Schwierigkeitsgrad ausprobieren möchte und für sein Foto gleich in den Trevi-Brunnen klettert, da kann ich nur von abraten. Zwei Touristinnen haben es versucht, ohne zu wissen, dass bei dieser Spielstufe ein Polizist mit Trillerpfeife wie ein Wachhund aus der Ecke stürzt und den beiden im wahrsten Sinne des Wortes den Marsch bläst. Ohne dabei ein Wort zu verlieren, sondern nur mit seiner Trillerpfeife. Für die beiden Damen bedeutete das: Game over…  

 

Blitzbesuch beim Papst

In Rom grassiert das Benedetto-Fieber. Kein Wunder also, dass wir es uns nicht entgehen ließen, zur Generalaudienz auf den Petersplatz zu gehen, die dort jeden Mittwochmorgen stattfindet. Wir sind schon zwei Stunden früher da, um einen der begehrten Sitzplätze zu ergattern. Schnell füllt sich der große Platz mit Menschen aus aller Herren Länder. Schulklassen, Pilgervereine etc. Viele von ihnen werden verlesen bzw. namentlich genannt. Tosender Jubel ertönt aus der jeweiligen Ecke des Platzes. Dann der grosse Moment. Papst Benedikt rollt in seinem Papamobil durch die Menge, sein weißes Gewand erscheint im Sonnenlicht schon fast grell, wie eine Lichtgestalt. Er fährt wenige Meter neben uns vorbei, wie bei einem Popstar klatschen die Gläubigen unter „Benedetto, Benedetto“ Rufen, er winkt in die Menge. Noch beeindruckt vom lebenden Papst, stellen wir uns in die Schlange, um das Grab von Johannes Paul II. zu besuchen. Da ahnten wir noch nicht, was uns erwartet. Schier endlos schiebt sich die Karawane am Petersplatz entlang. Um sich vor der Sonne zu schützen, halten viele Wartende vor und hinter uns Regenschirme in der Hand, die sich in regelmäßigen Abständen in meinen Haaren verheddern. Am Petersdom angekommen, ist immer noch kein Ziel in Sicht. Wir überlegen, umzudrehen, doch es gibt kein Vor und kein Zurück mehr. Die Beine beginnen zu schmerzen, nicht mehr lange, und ich sehe mich auf Knien durch den Dom rutschen. Nach der nächsten Biegung und einer weiteren geht es endlich runter in die Gruft. Hier liegen nicht nur viele Päpste, sondern angeblich auch der heilige Petrus. Unten gibt es nur gedämpftes Licht und leise Kirchenmusik kommt aus den Lautsprechern. Wir nähern uns dem Grab von Johannes Paul II. Hinter einer Absperrung knien Frauen und Kinder und bekreuzigen sich. Alle anderen schieben sich an der Steinplatte vorbei, an deren Seite viele Gläubige Zettelchen mit Gebeten und Wünschen hinlegen. Da man nicht vor dem Grab stehen bleiben darf, dauert der Besuch im Durchschnitt nur eine knappe Sekunde. Eine Stippvisite beim eiligen Vater sozusagen. Von Grabesruhe kann jedenfalls wirklich keine Rede sein…

 

Silencium prego…

Noch ein anderer Ort von zweifelhafter Beschaulichkeit: die sixtinische Kapelle. Hunderte Touristen schieben sich vorbei an den Deckenfresken Michelangelos. Und obwohl man bereits vor dem Eingang in unzähligen Sprachen darauf hingewiesen wird, im Innenraum still zu sein und keine Fotos zu machen, stößt diese Bitte auf taube Ohren. Drinnen wird auf Teufel komm raus drauflos geknipst und gesprochen. Erst ein aggressives „Pssssst“ vom Wachpersonal sorgt kurz für etwas Ruhe, bevor die Unterhaltung wieder einsetzt. Für die ganz ignoranten gibt’s das Ganze deshalb dann noch mal auf Tonband, das aus allen Ecken durch den Raum schallt: Attenzione, Ruhe bitte. Dies ist ein religiöser Ort, an dem nicht fotografiert werden darf“. Na, das gibt mir doch gleich ein viel besinnlicheres Gefühl. Und weil’s so schön ist, gibt’s die Durchsage gleich auf x-Sprachen zu hören…englisch, französisch, chinesisch und so weiter.

 

Von Halsabschneidern und barmherzigen Samaritern

Die Römer sind übersättigt mit Touristen aus aller Welt. Als Folge sind die Hotelpreise unverschämt hoch, Eintrittsgelder überhöht und viele Restaurantbesitzer echte Halsabschneider. Nach unserem Besuch im Vatikan möchten wir eine Kleinigkeit essen. Endlich finden wir einen Tisch, der allerdings für sechs Personen ist. Ganz schlecht, der Besitzer blafft uns sofort an: „Hier können Sie nicht sitzen, nur, wenn Sie zu sechst sind“. Da wir dieses Kriterium beim besten Willen nicht erfüllen können, ziehen wir weiter, also, ab zum nächsten Restaurant. Hier dürfen wir uns tatsächlich setzen, wir bekommen sogar was zu essen, allerdings mit einer unerwünschten Beilage. Im Minutentakt geben Musikanten und Bettler ihr Stelldichein. Der erste, der auftaucht, geigt so schlecht, dass wir bereits erwägen, ihm Schmerzensgeld zu zahlen, damit er wieder verschwindet. Beim zweiten Bissen Pizza erscheint ein Junge, der auf dem Akkordeon russische Melodien spielt. Es wird Zeit für eine weitere Bettelrunde. Schwupps, da ist sie schon, die Zigeunerin, die mit einem Bild ihres kranken Ehemannes von Tisch zu Tisch geht und die Hand aufhält. Und was gibt’s noch zum Dessert? Ach ja, die beinlose Frau, die sich auf dem Skateboard am Boden entlang schiebt. Hhm, ich weiss, es klingt sarkastisch, aber als logische Folge bei diesem Gruselkabinett wartete ich nun noch auf jemanden, der mit dem Kopf unterm Arm vorbeikommt, aber der war wohl gerade auf einer anderen Route unterwegs…

Die selbstlosen Römer sind zwar sehr rar, aber es gibt sie. Als wir abends mit dem Bus nach Hause fahren wollen, sind die Tabacco-Shops bereits geschlossen und wir haben kein Ticket. Was tun? Ich spreche den nächsten Passanten an und frage, wo wir ein Busticket bekommen könnten. Er lächelt uns verständig an und zückt seine Geldbörse, aus der er zwei Bustickets zaubert. Ich strecke unserem Retter das Geld entgegen, doch, galant wie ein Samariter, winkt er ab und sagt: das ist so in Ordnung. Auch das ist Rom, schön zu wissen.

 

Von der Schwierigkeit, Wasser zu bekommen…

Auf den ersten Blick sieht es nach einem Kinderspiel aus, in Rom einen netten Platz zu finden, an dem man etwas trinken kann. Auf den ersten Blick….wir schlendern an der Piazza Navona entlang. Jedes Restaurant und Cafe buhlt nahezu um seine Gäste. Signora, möchten Sie zu uns kommen? Schauen Sie auf unsere Karte…nein, Signora, kommen Sie zu uns, sülzt uns ein Kellner in Smoking mit Fliege zu. Wir möchten aber nur was trinken? Ja, ja, das ist in Ordnung, setzen Sie sich hier hin….grazie. Gut, wir sitzen. Da wir beide keinen Alkohol trinken möchten, bestellen wir eine Flasche Wasser für fuenf Euro, die es im Supermarkt nebenan für 60 Cent gibt. Ganz schlechte Wahl, kann ich nur sagen. Denn nachdem wir unsere Bestellung dem Kellner mitgeteilt haben, kommt der Nepper,Schlepper,Touristenfänger zurück an den Tisch und fragt neugierig. „Was haben Sie denn bestellt? Aqua minerale. Nein,nein,nein, das geht natürlich nicht, Sie müssen schon Wein bei uns bestellen. Also, entschuldigen Sie mal, entgegne ich, Sie müssen schon dem Gast überlassen, was er bestellen möchte und können uns das nicht aufzwingen. Das schleimige Schleppergrinsen von vorhin ist aus seinem Gesicht entschwunden. „Nein, also dann können Sie hier keinen Service verlangen, bitte verlassen Sie unser Restaurant…“ und schwupps, sitzen wir wieder auf der Strasse. Kleiner Tipp von mir: vielleicht sollten die Besitzer vorher Fragebögen austeilen, ob man sich für das jeweilige Restaurant qualifiziert hat. Nach dem Motto: Was beabsichtigen Sie zu trinken? Wasser? Tut mir leid, durchgefallen. Sie sind leider nicht restauranttauglich. Arrividerci….

 

Und der Schwierigkeit, Wasser nicht zu wollen…

Es ist schon eine echte Krux mit dem Wasser. Willst Du es haben, bekommst Du es nicht, willst Du keines, wird es Dir aufgedrängt. Wir sitzen im Zug nach Neapel, von wo aus wir abends zurück nach München fliegen. Während der fahrt steigt ein Mann zu, in seiner Hand hat er einen Eimer voll Wasserflaschen, die er unbedingt loswerden möchte. Wir erscheinen ihm als die passenden Opfer. Er bleibt bei uns stehen und stellt eine Flasche vor uns auf den Tisch mit der Aufforderung, sie zu kaufen. Ich sage: No thank you, kein Wasser. Das beeindruckt ihn gar nicht. Er stellt uns die Flasche wiederholt vor die Nase mit dem fordernden Blick: na los, kaufen Sie, bevor ich Gewalt anwenden muss. So ein Rotzlöffel, denke ich mir, und sage diesmal entschieden unfreundlicher „nein“. Statt einem Schwall Wasser überschüttet er uns mit einem Schwall italienischer Schimpfwörter. Ich habe auch eines für ihn: idiota….  

 

Neapolitanische Schmeissfliegen

Wir sind in Neapel am Hauptbahnhof. Schon nach ein paar Metern werden wir von allen Seiten bedrängt. Taxi? Hotel? Shuttlebus gefällig? Nein, danke. Wir gehen vor das Bahnhofsgebäude, warten auf den Bus zum Flughafen. Da hat uns schon jemand ins Visier genommen. Ein besonders aufdringliches Exemplar der Gattung Calliphoridae, besser bekannt als neapolitanische Schmeissfliege umkreist uns hartnäckig. Diese bebrillte Nervensäge  gleicht einer Mischung aus Puck, der Stubenfliege und Adriano Celentano. Er setzt zum Angriff an. „Nehmen Sie nicht den Bus zum Flughafen, fahren Sie mit mir“. Wir lehnen dankend ab. Er lässt sich nicht abschütteln. „Der Bus kommt eh nicht, fahren Sie bei mir mit für nur fünf Euro“. Diesmal sage ich zur Sicherheit gleich mehrsprachig, no, nein, no thanks. Ein älteres Ehepaar auf der Parkbank versucht, uns Schützenhilfe zu leisten. Attenzione, attenzione warnt uns die Neapolitanerin vor der lästigen Klette. „Unser Sohn holt uns gleich mit dem Auto hier ab. Wenn wir genug Platz hätten, würden wir Sie mitnehmen, aber unser Auto ist so klein“. Der Flughafenbus nähert sich…und braust mit vollem Tempo an uns vorbei. Adriano Celentano Puck fliegt die nächste Attacke. „Sehen Sie, ich wusste es, dass der Bus nicht hält, fahren Sie mit mir mit“. Ich schwöre, hätte ich ne Fliegenklatsche dabei gehabt, ich hätte auf ihn draufgehauen. Er umkreist uns ein weiteres Mal. Ein alter Mann kommt und zur Hilfe und stellt sich schützend vor uns, um den Plagegeist fernzuhalten. Wir sind erleichtert, als endlich der Bus um die Ecke biegt und – diesmal auch stehen bleibt. Wir brausen davon, im Rückspiegel sehen wir Adriano Celentano Puck, wie er seine nächsten Opfer anpeilt. Und wenn er nicht gestorben ist, dann kreist er da noch heute um die Bushaltestelle rum…

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